Als wir von
Berlin nach Schaumburg zogen, haben wir nach unserer Gewohnheit die Umgebung
erkundet und sind den Einladungen der hier und dort gesammelten Prospekte gefolgt.
Schon nach einer kurzen Zeit wurde mir klar, dass die Menschen sich hier gerne historisch
umkleiden und andere Epochen nachspielen. Nach drei Jahren bin ich in diesem Eindruck
nur stärker gefestigt. Alleine das Mittelalter wird von unterschiedlichen Veranstaltern
mehrmals pro Jahr angeboten, und dazu gibt´s noch Schützen- und Erntefeste,
Barocktage, natürlich Oktoberfeste und was nicht alles. Für die Bückeburger
Hofreitschule ist Barock eher ein Alltag, weil sie es seit Jahren professionell
verkaufen, die Führungen durch die umliegenden Städte sind logischerweise auch
kostümiert.
Barock,
Weserrenaissance, erhabene Haltung und höfische Sitten, Geruch des Wohlhabens
als Touristenattraktion – das alles war mir schon klar. Warum das
nordeuropäische Mittelalter, Bekämpfung des Germanischen Glaubens, Mangel an
Hygiene, Pest, Cholera, Kriege, Kreuzzüge, Brände, Hexenjagd? Und wenn schon,
wie kann es in der Gegend erlebt werden, wo alle Hecken geschnitten und
Rasenflächen gemäht sind, die Kanalisation funktionsfähig ist, die tatsächlich
während des Mittelalters erbauten Gebäude für Touristen schön verputzt sind und
sich in den Kasernen, stationierte Soldaten als nicht besonders kampfsüchtig
nachweisen?
Aber genau
so, wie die Kinder Kriege nachspielen ohne das Grauen des Krieges auf sich zu
ziehen, spielen die Erwachsenen Mittelalter. Und dazu noch: Mittelalter Fans
bilden zwar auch eine Subkultur, wie die Gothic Anhänger z.B., aber im Alltag sind sie meist nicht erkennbar und
mischen sich unter das „normale Volk“, im Gegensatz zu oben ernannten. Mir
gefällt das Spiel trotzdem. Ich habe
mehrere sogenannte Mittelaltermärkte besucht und gesehen, dass Leute viel Spaß
an der Sache haben.
Oft werden auf solchen Veranstaltungen nur die
Vorstellungen der einzelnen Menschen oder Gruppen über das Mittelalter
abgebildet, natürlich nicht das Mittelalter in sich, mit allen seinen
geschichtlichen Wendungen und regionalen Unterschieden, was auch für mich, die
ein geringes Wissen darüber hat, klar ist. Nach meinem Gefühl bietet die
Mittelalterszene einen gemütlichen Zufluchtsort für Romantiker, Künstler und
Handwerker.
Was Musik betrifft, mag ich auf alten Instrumenten und ihren Nachbildungen nachgespielte und neuinterpretierte
Stücke hören, mit oder ohne Gesang, aber die Bands mit lateinischen Namen mit den auf Hochdeutsch verfassten Texten, sind nichts für mich, obwohl ich ihre künstlerische
Freiheit und Bemühungen um die Weiterentwicklung der Richtung respektiere. In unserem Gebiet ist das Mittelalter Spectaculum auf der Mausoleumswiese das Event überhaupt, was das betrifft.
Am meisten schätze ich die Handwerker, die es in der modernen Zeit und Wirtschaft nicht einfach haben. Und zwischen vorhandenem Souvenirkram finde ich immer schöne Sachen und Menschen, die sich mitLeidenschaft dem widmen, was sie tun, und sich Zeit und Mühe geben auch dir darüber zu erzählen, wenn du nur zuhören möchtest. In der Ukraine ist die Tendenz genauso. Die Überflutung von maschinenproduzierten Waren treibt bestimmte Menschen in die Flucht. Der Wunsch etwas über die Vergangenheit eigener Vorfahren zu erfahren, plus Verlangen nach Handgemachtem, nach von einem Menschen konkret Hergestelltem, plus das Gefühl der Verbundenheit und Gemeinschaft, plus gewisse Romantik – reichen schon für den Erfolg.
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